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Aktuelle Managementpraktiken und Ergebnisse bei der Entwöhnung von der maschinellen Beatmung

Artikel

Autor: Jean‑Michel Arnal, Senior Intensivist, Hopital Sainte Musse, Toulon, Frankreich

Datum: 04.12.2023

Eine neue Veröffentlichung beschreibt die Ergebnisse aus der bisher umfangreichsten internationalen Studie zum Management und den Ergebnissen bei der Entwöhnung von Intensivpatienten.

Aktuelle Managementpraktiken und Ergebnisse bei der Entwöhnung von der maschinellen Beatmung

Kernaussagen

  • Trotz der Auswirkungen der Entwöhnung auf den Patientenzustand und die Behandlungskosten gibt es viele Unklarheiten hinsichtlich des Entwöhnungsprozesses.
  • WEAN SAFE ist die grösste internationale Studie zu den Managementpraktiken und Ergebnissen bei einer realen Population und umfasste 5.869 Intensivpatienten in 50 Ländern.
  • Die Studie bestätigte, dass sowohl die physiologischen Eigenschaften des Patienten als auch die Entwöhnungspraktiken zu einem Fehlschlagen der Entwöhnung beitragen.
  • Zwei Faktoren wurden unabhängig voneinander mit einem Fehlschlagen der Entwöhnung in Verbindung gebracht: tiefe Sedierung zum Zeitpunkt des Versuchs der Trennung und eine Verzögerung zwischen dem ersten Trennungsversuch und dem Erfüllen der Eignungskriterien für eine Entwöhnung.

Wie ist die WEAN SAFE‑Studie aufgebaut?

Unter „Weaning“ von der maschinellen Beatmung versteht man die Entwöhnung des Patienten von der Unterstützung durch das Beatmungsgerät und von künstlichen Atemwegen. Die Entwöhnung stellt einen beachtlichen Anteil der Gesamtdauer der invasiven Beatmung von Intensivpatienten dar und hat Auswirkungen auf das kurz‑ und langfristige Behandlungsergebnis (Herridge MS, Azoulay É. Outcomes after Critical Illness. N Engl J Med. 2023;388(10):913-924. doi:10.1056/NEJMra21046691​) sowie die Kosten. Weiterhin bestehen jedoch viele Unklarheiten hinsichtlich der Entwöhnung. Auch fehlt eine klare Definition von Start und Ende der Entwöhnung. Worldwide Assessment of Separation of Patients from Ventilatory Assistance (WEAN SAFE) ist die grösste internationale multizentrische Beobachtungsstudie, die sich mit den Managementpraktiken und Ergebnissen bei einer realen Population von Intensivpatienten auseinander setzt (Pham T, Heunks L, Bellani G, et al. Weaning from mechanical ventilation in intensive care units across 50 countries (WEAN SAFE): a multicentre, prospective, observational cohort study [published correction appears in Lancet Respir Med. 2023 Mar;11(3):e25]. Lancet Respir Med. 2023;11(5):465-476. doi:10.1016/S2213-2600(22)00449-02​). Die Studie wurde von der European Society of Intensive Care Medicine (ESICM) und einer Reihe von nationalen Gesellschaften unterstützt. Von den 10.232 Patienten im Screeningprozess wurden 5.869 Teilnehmer auf 481 Intensivstationen in 50 verschiedenen Ländern in die Studie aufgenommen. Jede Intensivstation beobachtete ihre Studienpatienten für vier aufeinanderfolgende Wochen zwischen Oktober 2017 und Juni 2018. 

Patienteneigenschaften und Eignungskriterien für die Entwöhnung

Alle auf der Intensivstation maschinell beatmeten Patienten über 16 Jahre wurden einem Screeningprozess unterzogen und in die Studie aufgenommen, wenn sie zwei Kalendertage nach Intubation immer noch mit invasiver maschineller Beatmung behandelt wurden. Die Kriterien für die Eignung für eine Entwöhnung umfassten einen FiO2‑Wert unter 50 % und einen PEEP unter 10 mbar. Weiters durften keine oder nur niedrige Dosen Vasopressoren und keine paralysierenden Substanzen verabreicht werden. Der Bewusstseinsgrad des Patienten wurde bei der Beurteilung der Eignung für die Entwöhnung nicht berücksichtigt, da er ein Kriterium für die Extubation ist. Als Start der Entwöhnung wurde der erste Entwöhnungsversuch unabhängig von der eingesetzten Methode definiert bzw. die erste Extubation ohne Entwöhnungsversuch. Die Entwöhnung wurde als erfolgreich bewertet, wenn der Patient infolge der Extubation oder Trennung vom Tracheostomietubus innerhalb der nachfolgenden 7 Tage nicht verstarb oder reintubiert werden musste. Die Eigenschaften des Patienten und die Ergebnisse der Entwöhnung sind in Abbildung 1 dargestellt.

Diagramm mit Eigenschaften und Ergebnissen
Abbildung 1: Patienteneigenschaften und Entwöhnungsergebnisse

Zeit bis zum ersten Trennungsversuch und Entwöhnungsdauer

Mehr als 90 % der teilnehmenden Patienten wiesen Anzeichen einer spontanen Aktivität auf und erfüllten die Eignungskriterien für die Entwöhnung bei einem Medianwert von drei Tagen ab Setzen eines Endotrachealtubus. Die Zeit im Median, die zwischen dem Erfüllen der Eignungskriterien für die Entwöhnung und dem ersten Trennungsversuch verstrich, lag bei einem Tag; bei 22 % der Patienten betrug diese Verzögerung jedoch mehr als 5 Tage. Unter den Patienten, die erfolgreich entwöhnt wurden, war die Entwöhnungsdauer bei 77 % kurz (≤ 1 Tag), bei 12 % mittellang (2 ‑ 6 Tage) und bei 11 % lang (≥ 7 Tage).

Zu den demographischen Faktoren, die mit einer Verzögerung von mehr als 1 Tag zwischen dem Erfüllen der Eignungskriterien und dem ersten Trennungsversuch in Verbindung standen, gehörten Schwäche, Aufnahme wegen Trauma und ein nichttraumatisches neurologisches Ereignis. Die Schwere einer kritischen Erkrankung gemäss SOFA‑Score stand auch in Zusammenhang mit einer längeren Verzögerung. Weiters wurden ein kontinuierlicher Einsatz einer neuromuskulären Blockade und die Verwendung mässiger bis starker Sedierung am ersten Tag des Erfüllens der Entwöhnungskriterien mit einem verzögerten Trennungsversuch in Verbindung gebracht. 

Faktoren im Zusammenhang mit dem Fehlschlagen

Faktoren, die zu einem Fehlschlagen der Entwöhnung beitrugen, waren fortgeschrittenes Alter, Schwäche, Immunschwäche, schwere kritische Erkrankung, Herzstillstand, nichttraumatisches neurologisches Ereignis, vorbestehende Begrenzung der Pflege und schwere Atemstörungen. Zwei Faktoren wurden unabhängig voneinander mit einem Fehlschlagen der Entwöhnung in Verbindung gebracht: tiefe Sedierung zum Zeitpunkt des Versuchs der Trennung und eine Verzögerung zwischen dem Erfüllen der Eignungskriterien für eine Entwöhnung und dem ersten Trennungsversuch. Eine Empfindlichkeitsanalyse, bei der auch die Anzahl der Betten auf der Intensivstation berücksichtigt wurde, erbrachte dieselben Ergebnisse.

Unsere Erkenntnisse

Ein Fehlschlagen und eine Verzögerung bei der Entwöhnung stellen für den Patienten, seine Angehörigen und das Gesundheitssystem eine Belastung dar. Die WEAN SAFE‑Studie bestätigt, dass sowohl die physiologischen Eigenschaften des Patienten als auch die Entwöhnungspraktiken zu einem Fehlschlagen der Entwöhnung beitragen. Ein Hauptgrund für eine Verzögerung des ersten Trennungsversuchs, die schlussendlich ein Fehlschlagen der Entwöhnung begünstigt, ist das Sedierungsmanagement zum Zeitpunkt des Erfüllens der Eignungskriterien für eine Entwöhnung. Es kann positive Auswirkungen haben, wenn eine mässige oder tiefe Sedierung zum Zeitpunkt der Beurteilung der Entwöhnungseignung möglichst vermieden wird. So kann dadurch die Dauer der invasiven maschinellen Beatmung verkürzt und die Erfolgsrate der Entwöhnung erhöht werden. Ein weiteres Ergebnis der WEAN SAFE‑Studie ist, dass eine Verzögerung bei der Durchführung des ersten Entwöhnungversuchs nach dem Erfüllen der Eignungskriterien mit einem Fehlschlagen der Entwöhnung in Verbindung steht. Manchmal ist die Verzögerung dem Zustand des Patienten geschuldet und es ist gibt gute Gründe dafür, warum der Entwöhnungsversuch nicht durchgeführt wird. In anderen Fällen jedoch liegt die Verzögerung daran, dass die Bereitschaft des Patienten für eine Entwöhnung nicht erkannt wird oder kein Personal für den rechtzeitigen Entwöhnungsversuch zur Verfügung steht. Der aktuelle Mangel an Intensivpflegepersonal, Atemtherapeuten und Ärzten erschwert die Arbeitsverteilung auf der Intensivstation und kann Auswirkungen auf die Entwöhnungsprozesse haben. 

Ein Diskussionspunkt ist die Frage, ob der Patient beim ersten Entwöhnungsversuch wach und voll ansprechbar sein muss. Die Autoren vertreten die Ansicht, dass der erste Entwöhnungsversuch stattfinden sollte, auch wenn die Extubationskriterien (Bewusstsein, Husten usw.) nicht erfüllt sind. Somit kann das klinische Personal erkennen, ob der Patient für eine Entwöhnung bereit wäre, und die Sedierung entsprechend absetzen (Pham T, Heunks L, Bellani G, Brochard L, Laffey J; WEAN SAFE Investigators. WEAN SAFE and the definition of the first separation attempt ‑ Authors' reply. Lancet Respir Med. 2023;11(5):e44. doi:10.1016/S2213‑2600(23)00089‑93​). 

Unterstützung durch das Beatmungsgerät

Die Beatmungsgeräte von Hamilton Medical stellen einige Hilfsmittel zur Verfügung, um klinisches Personal beim Entwöhnungsprozess zu unterstützen und v. a. zu vermeiden, dass die Bereitschaft des Patienten für die Entwöhnung nicht rechtzeitig erkannt und der Entwöhnungsversuch zu spät durchgeführt wird. Die Grafik „Beatmungsstatus“ ist eine einfache Darstellung der Eignungskriterien für die Entwöhnung (siehe Abbildung 2). Auch ohne fundiertes Fachwissen erkennt das Personal ohne längeres Kombinieren mit einem Blick auf den Bildschirm, ob der Patient für einen Entwöhnungsversuch bereit ist. Bei einer niedrigen Dosierung von Vasopressoren sollte das Fachpersonal die Sedierung aussetzen und einen Entwöhnungsversuch durchführen. 

Bei Patienten, die mit INTELLiVENT‑ASV beatmet werden, unterstützt die Funktion „Quick Wean“ mit ihrem automatischen Entwöhnungsprotokoll das Pflegepersonal beim Entwöhnungsprozess. „Quick Wean“ kann aktiviert werden, sobald der Patient wieder spontan atmet, unabhängig von der Sauerstoffzufuhr, dem Ausmass der Druckunterstützung und der Sedierung. Das Beatmungsgerät verringert die Sauerstoffzufuhr, den PEEP‑Wert und die Druckunterstützung im Rahmen der Sicherheitsregeln des jeweiligen Modus, prüft die Eignungskriterien für die Entwöhnung und führt einen Entwöhnungsversuch durch. Der Entwöhnungsversuch wird automatisch abgebrochen, wenn sich die physiologischen Variablen ausserhalb der Zielbereiche befinden. Das klinische Personal muss sich um die Sedierung kümmern und entscheiden, wann der Zeitpunkt für die Extubation gekommen ist.

Screenshot der Grafik „Beatmungsstatus“ am Beatmungsgerät
Abbildung 2: Grafik „Beatmungsstatus“ mit Eignungskriterien für die Entwöhnung

Abschliessende Bemerkungen


Zusammenfassend zeigte die WEAN SAFE‑Studie, eine umfangreiche internationale multizentrische Beobachtungsstudie, bedeutende Abweichungen in der Umsetzung der Entwöhnungsprozesse und identifizierte einige anpassbare Faktoren, die die Entwöhnungsdauer verkürzen und den Entwöhnungserfolg verbessern.

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Abbildung 1: Patienteneigenschaften und Entwöhnungsergebnisse
Screenshot der Grafik „Beatmungsstatus“ am Beatmungsgerät
Abbildung 2: Grafik „Beatmungsstatus“ mit Eignungskriterien für die Entwöhnung

Outcomes after Critical Illness.

Herridge MS, Azoulay É. Outcomes after Critical Illness. N Engl J Med. 2023;388(10):913‑924. doi:10.1056/NEJMra2104669

Weaning from mechanical ventilation in intensive care units across 50 countries (WEAN SAFE): a multicentre, prospective, observational cohort study.

Pham T, Heunks L, Bellani G, et al. Weaning from mechanical ventilation in intensive care units across 50 countries (WEAN SAFE): a multicentre, prospective, observational cohort study [published correction appears in Lancet Respir Med. 2023 Mar;11(3):e25]. Lancet Respir Med. 2023;11(5):465‑476. doi:10.1016/S2213‑2600(22)00449‑0



BACKGROUND

Current management practices and outcomes in weaning from invasive mechanical ventilation are poorly understood. We aimed to describe the epidemiology, management, timings, risk for failure, and outcomes of weaning in patients requiring at least 2 days of invasive mechanical ventilation.

METHODS

WEAN SAFE was an international, multicentre, prospective, observational cohort study done in 481 intensive care units in 50 countries. Eligible participants were older than 16 years, admitted to a participating intensive care unit, and receiving mechanical ventilation for 2 calendar days or longer. We defined weaning initiation as the first attempt to separate a patient from the ventilator, successful weaning as no reintubation or death within 7 days of extubation, and weaning eligibility criteria based on positive end‑expiratory pressure, fractional concentration of oxygen in inspired air, and vasopressors. The primary outcome was the proportion of patients successfully weaned at 90 days. Key secondary outcomes included weaning duration, timing of weaning events, factors associated with weaning delay and weaning failure, and hospital outcomes. This study is registered with ClinicalTrials.gov, NCT03255109.

FINDINGS

Between Oct 4, 2017, and June 25, 2018, 10 232 patients were screened for eligibility, of whom 5869 were enrolled. 4523 (77·1%) patients underwent at least one separation attempt and 3817 (65·0%) patients were successfully weaned from ventilation at day 90. 237 (4·0%) patients were transferred before any separation attempt, 153 (2·6%) were transferred after at least one separation attempt and not successfully weaned, and 1662 (28·3%) died while invasively ventilated. The median time from fulfilling weaning eligibility criteria to first separation attempt was 1 day (IQR 0-4), and 1013 (22·4%) patients had a delay in initiating first separation of 5 or more days. Of the 4523 (77·1%) patients with separation attempts, 2927 (64·7%) had a short wean (≤1 day), 457 (10·1%) had intermediate weaning (2-6 days), 433 (9·6%) required prolonged weaning (≥7 days), and 706 (15·6%) had weaning failure. Higher sedation scores were independently associated with delayed initiation of weaning. Delayed initiation of weaning and higher sedation scores were independently associated with weaning failure. 1742 (31·8%) of 5479 patients died in the intensive care unit and 2095 (38·3%) of 5465 patients died in hospital.

INTERPRETATION

In critically ill patients receiving at least 2 days of invasive mechanical ventilation, only 65% were weaned at 90 days. A better understanding of factors that delay the weaning process, such as delays in weaning initiation or excessive sedation levels, might improve weaning success rates.

FUNDING

European Society of Intensive Care Medicine, European Respiratory Society.

WEAN SAFE and the definition of the first separation attempt ‑ Authors' reply.

Pham T, Heunks L, Bellani G, Brochard L, Laffey J; WEAN SAFE Investigators. WEAN SAFE and the definition of the first separation attempt ‑ Authors' reply. Lancet Respir Med. 2023;11(5):e44. doi:10.1016/S2213‑2600(23)00089‑9